<%@LANGUAGE="JAVASCRIPT" CODEPAGE="65001"%> Frau Holles Gericht über den Honighof am Hirschberg

Frau Holles Gericht über den Honighof am Hirschberg

 

Der Honighof lag in einem gesegneten Talgrund. Hier hatten die Regenströme der Urzeit den fruchtbaren Basaltschlamm vom Hirschberg hergeschwemmt. Da schoss das Gemüse im ungedüngten Feld üppiger empor als sonstwo im gedüngten Boden. Darum war auch der Honigbauer der reichste Mann im ganzen Land, und von ihm ging das Gerede: >>Dem Honighofer trägt jede Kuh zwei Kälbchen und jeder Halm zwei Ähren. Und wenn seine Säue auf Bratwürsten herumlaufen “rollten, so wäre es ihm eben recht.« Doch leicht verhärtet der Reichtum das Menschenherz; je mehr der Bauer besaß, desto mehr wollte er. In schlimmen Jahren war wohl dieser und jener zu ihm gekommen und hatte den Vetter im Honiggrund um ein Darlehen angesprochen. Aber der Bauer hatte immer kalt zur Antwort gegeben: >>W er was hat, hat's auch verdient. Nur schlechtes Blut verludert sein Gut!« Und wenn die Bedrängten es noch einmal wagten, bei ihm vorzusprechen, rief er seinen Söhnen mit rauher Stimme zu:, hetzt doch die Hunde auf das Gelumpe!« Bald traute sich kein Bittsteller mehr auf den Hof, um Trost oder Hilfe zu holen. Die Söhne aber gerieten dem Alten nach.
Es waltete nur noch eine fühlende Seele in jenem Haus, seit die Bäuerin unter der Erde lag: das war die Tochter des Bauern. Sie durfte aber jede gute Tat nur im Verborgenen tun und weinte oft über den verhärteten Sinn der Männer. Einmal war der Bauer mit seinen Söhnen ausgeritten, das Vieh zu suchen, das sich auf ferne Weiden verloren hatte. Der Himmel lachte über dem leuchtenden Frühlingstag, das Mädchen saß ganz allein vor der Haustür und schälte Kartoffeln. Ruhe lag über dem ganzen Hause. Da schlurfte ein altes, zerlumptes Mütterchen den Wiesenpfad heran. Mühsam stützte es sich auf die Knicke, reckte die dürre Bettelhand aus dem dürftigen Ärmel und keuchte zum Erbarmen.
Das Mädchen stellte den Korb beiseite, strich sich die Schürze glatt, lief flink in das Haus und schnitt ein stattliches Stück vom Brotlaib herunter; dann gabelte sie eine Wurst aus dem Rauchfang. Dieses Frühstück trug sie der Alten zu.

>>Lohn's Gott!« stammelte die Alte — da stand auch schon der Bauer mit seinen Söhnen im Hof. Brennend rot vor Zorn schlug er der Tochter mit der Faust ins Gesicht. Dann rannte er in den Stall, löste den Bluthund und hetzte ihn auf das zitternde Weiblein.>>Pack dich, pack dich, die “Wegweiser beißen!« schrie er hohnvoll. Aber der Köter zog den Schweif ein, winselte jämmerlich und duckte sich furchtsam zu Boden. Im selben Augenblick löste sich die Fremde in wirbelnden Rauch auf, flog hoch und immer
höher, bis an den Himmel, wo sie sich in einem Wolkenballen verlor. Die Sonne verdunkelte sich vor dem schwarzen Gewölk, das sich einem Sargdeckel gleich über das fruchtbare Tal legte. Aus dem Schatten aber zuckten Blitze, krachten die Donner, als solle der ganze Hirschberg bersten. Ein Blitz zündete, und die lohende Flamme fraß um sich, bleckte, schmatzte und prasselte im Gebälk.
Wie goldener Schnee stoben die Feuerflocken im turmwind daher, zernagten die stolzen Giebel, fraßen das Holzwerk, und bald war der ganze Honighof ein glühendes Flammenmeer, das den geizigen Bauern und seine „Söhne unter den stürzenden Trümmern begrub. Als die Nachbarsleute mit Leitern und Eimern kamen, den Brand zu löschen, fanden sie nur noch glosende Trümmer und Asche und Rauch vor, Frucht, Vieh und Menschen waren verbrannt; aber unter dem Birnbaum lag friedlich schlummernd die Tochter des Bauern. Neben ihr stand eine weiß gekleidete Frau, aufrecht und streng. Sie hielt die Hände schützend über das Mädchen gebreitet, dass alle Funken von ihr wichen. Als aber die Bauern näher traten, da löste sich die Gestalt in Wolken und Rauch auf. Nun wussten die Leute, dies war Frau Holles Gericht über den Honighof. Der Ort blieb völlig öde, kein Mensch wollte auf der verfluchten Stelle mehr bauen, auch nicht die Tochter, die allein von der Sippe noch am Leben war. Sie zog in das Dorf, wo sich ein ordentlicher Bursche um sie bewarb. Dort hatte sie eine glückliche Mutterhand, und auf allem, was sie berührte, lag Segen. Denn sie blieb ihrem Herzen treu bis an ihr seliges Ende.