Der Raub der Draupadi |
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Kurz vor dem Ende ihres Waldlebens, drohte den Pandava noch ein schwerer Verlust: Dschajadratha, König der Sindhu, Sauwira, Trigarta und Schiwi, ein Schwager Durjodhanas, denn dessen Schwester Duchschala war seine Gattin, ging neuerdings auf Brautschau. Mit einem glänzenden Gefolge zog er durch den Kamjakawald. Kotika, ein Königssohn, führte die Zügel seiner Rosse, und zwölf Prinzen des Sauwirastammes trugen seine Banner. Sechstausend Krieger folgten ihm auf Elefanten, Wagen und Pferden und in geschlossenen Scharen zu Fuß. Als der mächtige König an die Waldwohnung der Pandava kam, stand die liebliche Draupadi an der Türe und harrte der Gatten, die am Morgen zu fröhlicher Jagd ausgezogen waren. Dschajadratha ließ halten: >>Bei der meerentstiegenen Lakschmi! wer ist die Herrliche, deren Schönheit durch den dunklen Wald glänzt, wie der Blitz aus schwarzen Wetterwolken? — Kotika, nahe dich ihr und frage, ob sie eine der Himmlischen ist oder eine Blume der Erde! « Kotika sprang vom Wagen, und wie der Hund einer Tigerin nahte er sich der stolzen Schönheit. »Wer bist du, einsame Siedlerin‚« fragte er beklommen, »die meines Königs Sinn gefangen nahm? Bist eine Göttin du? Eine Fee? oder die Gattin des nachtwandelnden Mondes? — Mich sendet Dschajadratha, mein königlicher Herr, den du dort auf goldschimmerndem Wagen ragen siehst, wie Agni auf dem Scheiterhaufen. Herrscher ist er über die Sindhu‚ die Sauwira und manche andere Völker. Er zieht daher in großem Gefolge, wie Indra von Winden umschirmt!« Da antwortete die stolze Pantschalerin: >>Draupadi bin ich, des Königs Drupada Tochter. Bei der Wahl, nach Sitte des Kriegerstandes, hab‘ ich fünf Gatten erkoren: die Söhne des Großkönigs Pandu: Judhischthira, Bhima und Ardschuna, Söhne der Kunti, und die Madrizwillinge Nakula und Sahadewa, Sie jagen durch den Wald, doch naht schon die Stunde ihrer Rückkehr. Seid in ihrem Namen willkommen geheißen! Laßt die Tiere abschirren und das Volk lagern! Judhischthira, mein königlicher Gemahl, wird euch bei seiner Heimkehr gastfreundlich begrüßen.« Damit trat sie in das Haus und traf Vorbereitungen für die Bewirtung der Gäste. Bebend vor Leidenschaft hörte Dschajadratha den Bericht seines Wagenlenkers. »Nein!« rief er dann, >>mein Weib muß sie werden! Wie Affen erscheinen mir alle Frauen, seit ich die Schönste gesehen!« Selbsiebent trat er in das Haus und begrüßte Draupadi der Sitte gemäß: » Heil dir, Schöngestaltete! Bist du glücklich? Sind es deine Gatten und alle, deren Heil du wünschest?« Draupadi antwortete: >>Heil dir, König! Ist dein Reich mächtig? Dein Schatz gefüllt und dein Heer stark? Herrschest du nach Recht und frommer Pflicht über alles was du besitzest? — Glücklich ist Judhischthira, mein König und Herr! Glücklich auch ich und seine Brüder und alle, nach welchen du fragtest! Nimm hier Fußwasser und Sitz, und harre der Mahlzeit, die ich dem Gaste bereite!« Nachdem mit diesen Reden der ersten Pflicht der Gastfreundschaft Genüge geleistet worden war, brach sich Dschajadrathas Leidenschaft wieder Bahn. >>Laß Herd und Speise!« lief er, »und steige auf meinen Wagen! Wie willst du bei den Sinn- und Glücklosen hausen? Komm mit mir zu königlichen Freuden!« Mit gefurchter Stirn trat Draupadi zurück und rief: >>Schäme dich!« Und um die Stunde, von der sie die Heimkehr ihrer starken Gatten erhoffte, zu beflügeln, sprudelte sie Wort um Wort hervor und fesselte die Aufmerksamkeit des Entführers: » Ein Tor bist du, der den Zorn der starken Pandava weckt! Eh‘ könntest du einen wilden Eelefanten mit dem Hirtenstab lenken, eh‘ du den König der Gerechtigkeit bezwingst! Wie ein Kind an dem Schnurrbart eines schlafenden Tigers zupfte, so spielst du mit dem Zorn des furchtbaren Bhima. Dem schlafenden Leuen stößt du den Fuß in die Flanke, wenn du den Gandivaspanner zum Kampf reizest. Besser wäre es fürwahr, dir zischten die Zungen zweier Nattern entgegen, als daß dich die schnellen Schurerter der Madrizwillinge umzucken, Wahnsinniger! Wie die Giftblume zerstäubt und den vernichtet, der sie bricht, so verdirbt die Gattin der Pandava den, der sie raubt! « »Der Schrecken über deine Worte, du Herrliche, besiegt nicht den Reiz deiner zornfunkehiden Augen!<< rief Dschajadratha. >>Besteige meinen Wagen, du Stolze, und teile mein Reich!« >>Zurück!« schrie Draupadi. >>Wie das Feuer in dürres Holz, wird sich Ardschuna in dein Heer fressen für diese frevlerischen Worte! Nie soll mein Denken einem andern gelten als meinem Gatten! O höre mich, Dhaumia!« Der Hauspriester trat über die Schwelle und mahnte den Leidenschaftlichen an Recht und Pflicht. Doch das war ein Tropfen in lohenden Brand: rasch sprang Dschajadratha vor und griff nach Draupadis Hand. Die Bedrohte stieß ihn zurück, daß er der Länge nach hinfiel. Da warfen die anderen sich über sie und schleppten die Schreiende nach Dschajadrathas Wagen. Eilig brach der Heerzug auf, doch der Hauspriester Dhaurnia ging unter dem Trosse mit und wachte über die Ehre seiner Königin. Die Pandava hatten sich nach erfolgreicher Jagd in einer Waldlichtung getroffen. J udhischthira war von unheilverheißenden Ahnungen erfüllt, als er das ängstliche Laufen, Flattern und Kreischen des von Dschajadrathas Heerzug aufgescheuchten Wildes bemerkte. Er trieb die Brüder zur Eile, denn ihm bangte um Draupadi, das köstliche Gut der Verbannten. Rasch bestiegen sie die Wagen, die ihrer am Treffpunkt geharrt hatten, und eilten in schnellem Rosseslauf nach dem Waldhaus. Am Waldrand stürzte ihnen laut weinend die Dienerin der Gattin entgegen. Judhischthira sprang vom Wagen und rief: >>Weh' uns, Weib! Sprich: welches Unheil hat die Königin betroffen? — Ist sie zum Himmel gegangen? — Wir werden ihr folgen! « Stockend und stammelnd erzählte die Getreue vom Raub ihrer Herrin und flehte die Starken an, den Frevler, dessen Spuren noch frisch seien, zu verfolgen, ehe tödliche Schmach die Stolze vernichte. »Genug!« rief Judhischthira, >>aus unserem Weg, treue Dienerin! Die Räuber sollen die Pandava kennenlemen!« Und in schneller Fahrt folgten sie dem Heer, dessen Weg gebrochenes Gezweig und geknickte Blumen kennzeichneten. Bald sahen sie die Staubwolke, die das Fußvolk aufwirbelte. Dann trafen sie auf Dhaumia, der mitten im Troß dahinschritt und den Helden weit vome den Wagen des Entführers zeigte. Wie Wölfe in eine Schafherde, fuhren die Pandava unter die Krieger Dschajadrathas. Der ließ, erschreckt ob des fürchterlichen Kampflärmes, seine Rosse anhalten und forderte Draupadi auf, ihm diese furchtbaren Streiter zu nennen. >>Bangt dir vor ihnen, du Tor?« rief Draupadi stolz. »Du sollst sie kennenlernen, die deine Macht zertrümmern und dich heute noch zu meinem Sklaven machen werden. Sieh dort den Adlergesichtigen, dessen Banner über zwei heiligen Trommeln weht! Der ist der König des Rechtes, der gewährt auch dem flehenden Feinde noch Gnade: Judhischthira ist es, der Herr der Erde! Jener Riese an Leib, mit den drohend gewölbten Brauen, ist Bhima, der Furchtbare. Übermenschliche Taten hat er vollbracht, und ungern verschont er die Feinde. Dort der hochgewachsene Bogenschütze ist der Indrasproß Ardschuna. Stark wie Bhima und besonnen wie Judhischthira. Er führt die göttlichen Waffen und seine Muschel heult den Löwenruf zum Schrecken der Feinde. Jener Schöngestaltete, den die Kuntisöhne umschirmen, ist Nakula, der Liebling der Brüder! Und der Große, der ruhig, doch stark sein Schwert schwingt, ist Sahadewa, der Wackre. Sie alle sind meine Gatten! — Bangt dir, elender Tor? -— Dein Heer wird zerschellen vor diesen Tapferen wie die Welle am Felsen. Danke den Göttern, wenn du das nackte Leben dir rettest! « Die Pandava wüteten indessen unter dem Gefolge Dschajadrathas: Allen voran brach Bhima mit seiner Keule sich Bahn zu dem Wagen des Räubers. Kotika deckte mit vielen Streitern seinen König. Bhima erschlug einen Elefanten und viele Fußsoldaten. In einem wahren Regen von Pfeilen und Speeren schritt er vorwärts, ohne zu zittern. Ardschuna schoß seine Pfeile zu Hunderten unter die wilden Krieger der Berge, die Dschajadratha umringten. Judhischthira flog auf seinem Streitwagen durch die Reihen und tötete hundert der Besten. Nakula fuhr hinter ihm, und sein Schwert warf die Köpfe der Feinde zu Boden, wie der Sämann den Samen. Sahadewa schoß die Elefantenstreiter von ihren luftigen Sitzen, wie Pfauen von den Bäumen. Tapfer wehrten sich die Sindu und Sauwira: Dem Judhischthira wurden die Pferde erschlagen, er mußte zu Sahadewa auf den Wagen steigen. Dem Nakula warf der starke Trigartafürst den Wagen um. Zu Fuß mußte der Schwertschwinger sich bis zu Bhima durchkämpfen. Unter Ardschunas Pfeilen fielen die zwölf Sauwirafürsten, Kotika unter Bhimas Keule. Bebend ließ Dschajadratha Draupadi frei und floh in den Wald. Dhaumia übergab die Gerettete ihrem Gatten Nakula, und der brachte sie auf Judhischthiras Wagen in Sicherheit. Ardschuna hielt den unbändigen Bhima vom greulichen Morden in Dschajadrathas geschlagenem Heer zurück und nahm den Zornmütigen mit zur Verfolgung des flüchtigen Frauenräubers. >>Tötet ihn nicht!« rief Judhischthira den Enteilenden nach. >>Schwer ist sein Frevel, doch gedenkt des Kummers Duchschalas und der guten Königin Gandhari! « >>Rächt meine Schmach an ihm!« schrie Draupadi, und schon zogen Ardschunas prächtige Schimmel den silberschelligen Wagen dahin. Meile um Meile schwand unter den Hufen der windschnellen Gandharvahengste. Endlich sahen sie den Sindhukönig im goldglänzenden Wagen wie eine Sturmwolke dahinjagen. Da spannte Ardschuna die Götterwaffe, und auf eine Meile tötete er Schuß um Schuß die Rosse des königlichen Wagens. Als die Verfolger nahten, sprang Dschajadratha flüchtigen Fußes in den Wald. >>Feiger Kriegerl<< schrie Ardschuna, >>hast du nur Mut vor F rauen? « Bhima sprang vom Wagen und folgte dem Fliehenden in den Wald. >>Töte ihn nicht<< rief Ardschuna Bhima faßte den Laufenden beim Haar und riß ihn zornig zu Boden. Eingedenk der brüderlichen Mahnung, prügelte er den Feigen mit Faust und Fuß, bis er die Besinnung verlor. Dann schor er ihm mit einem scharfen Pfeile das Haar bis auf fünf Büschel. Als der Elende erwachte, schrie Bhima ihn an: »Sage, daß du ein elender Sklave bist, oder ich schlage dich totl<< Stammelnd sprach der Bestrafte: »Ich bin ein Sklave!« Gebunden schleifte Bhima den Besiegten zum Wagen. Darm jagten sie zurück vor Judhischthira. >>Laßt ihn frei!« sprach der großmütige Sohn des Rechtsgottes, als er den Jämmerling sah. »Ho!« sprach Bhima, >>Draupadi, die er so schändlich gequält, die soll ihm das Urteil sprechen, mein gefühlvoller Bruder! Draupadi, komm, sieh hier den geschorenen Sklaven. Fünf Büschel ließ ich ihm stehen, für jeden seiner Herren eines!« Stolz sah Draupadi auf den Gedemütigten. >>Laß ihn frei!« sprach sie mit verächtlicher Handbewegung, und ging in das Haus. Bhirna löste die Fesseln des Besiegten. Der beugte sich vor dem edlen Judhischthira. >>Schmach dir, schändlicher Frauenräuber!« sprach der König. »Erkenne das Schlechte deiner Tat: die Verletzung von Recht und Sitte. Sammle die Trümmer deines Heeres und geh! Möge dein Sinn für Recht und Pflicht wachsen, Dschajadratha! Ziehe in Frieden!« Beschämt, mit verhülltem Antlitz, schlich sich der Besiegte hinweg und zog nach einem Heiligtum des Schiwa. Dort büßte er seine Tat, und der Gereinigte flehte zu dem mächtigen Gott um Kraft zur Rache an seinen Besiegern. |