<%@LANGUAGE="JAVASCRIPT" CODEPAGE="65001"%> Das Schlangenopfer

Das Schlangenopfer

 

Tausend und abertausend Jahre waren durch die Welt geeilt. Dem Weltalter der Götter und ihrer Verehrung war das des Zweifels und großen Kampfes gefolgt. Parikschit, der Enkel Ardschunas, herrschte zu Hastinapura über das Reich seiner Väter. Er war edel und kühn und ein großer Freund der Jagd. Einst hetzte er hinter einem Hirsche her, den sein Bogen weidwund geschossen hatte. Voll Eifer folgte der Jäger der blutigen Spur, bis sie sich auf einer Lichtung verlor. Im eifrigsten Suchen stieß er auf einen Brahmanen, der still seine Kühe hütete.>>Ehrwürdiger!« rief er hastig, »sahst du nicht einen weidwunden Hirschen vorüberspringen? — Sprich! Ich bin der König!«

Der fromme Büßer erwiderte nichts auf die schnelle Frage, denn er hatte am Morgen gelobt, den Göttern zu Ehren einen Tag lang zu schweigen.>>He! sprich!« rief Parikschit ungeduldig. >>Ich bin Herrscher in diesem Lande!«
Vor dem gleichmütigen Schweigen des Priesters überfiel dem eifrigen Jäger der Zom. Verächtlich schnellte er mit dem Ende des Bogens eine tote Schlange gegen den Büßer und lief davon, aufs neue den Hirschen zu suchen.
Der Schlangenleib aber hatte sich wie eine Kette um des
Geduldigen Hals gelegt. Freundlichen Auges sah der Büßer dem enteilenden König nach und freute sich dieser Prüfung. Demütig trug er das Aas am Halse: in würdiger Beherrschung seines Zornes die Schmach zum Schmucke verwandelnd! Scharnika hieß der gute Heilige, und er hatte ein Söhnlein namens Schiringin. Der war ein lebhafter Knabe, welcher über seine Gespielen zu herrschen gewohnt war. Als die Knabenschar den Heftigen am nächsten Tag verspottete, weil sein Vater den sonderbaren Schmuck auch ferner trug, da wallte Schringins heißes Blut über. Weihwasser sprengend rief er aus:>>Stirb, Parikschit! Du Eitler, der einen Weisen zu schmähen wagte, stirb am siebenten Tag von heute: Das Gift des Natternkönigs Takschaka soll dich töten! «
Und das Schicksal hörte den Fluch des Heiligensohnes und
verhängte seine Erfüllung über Parikschit. Schringin aber lief zu seinem Vater und erzählte, schluchzend vor Zorn und Freude, wie er die schändliche Tat des Königs gerächt
habe. »Wehe! mein Sohn!« rief Schamika erschreckt. ;>Was hast du Getan? Nie soll ein Frommer den Zorn für sich sprechen lassen: Geduld und Weisheit sind die Zauberwaffen des Brahmanen! Du hast den edlen König Parikschit dem Tode geweiht! — Weh‘ uns! Im Lande ohne König herrscht Not und Elend — Recht und Pflicht vergehen, wo keine starke Hand sie schützt — Indra versagt dem königlosen Land den Regen, und die Dämonen der Dürre heben froh ihr Haupt! — Wer soll die Frommen schützen, wo keine Macht die Bösen bändigt? —
Und Parikschit ist gut —- der Jagdeifer nur hatte ihn hingerissen

— er kannte mein Schweiggelübde nicht und hielt sich für
verhöhnt! — 0 schneller Zorn der Jugend!« >>Mein Vater, was ich sprach, wird sich erfüllen!« rief Schringin, >>sei's lieb dir oder leid! — Ich sprach noch nie ein Wort,
und war's im Scherz gewesen, das nicht der Wahrheit folgte, sie verkündete: Heut' über sieben Tage stirbt der König vom Gifte Takschakas!«>>Weh' uns! — Ich lass den Guten warnen! — Und du — lern' Selbstbeherrschung! zügle deinen Zorn, wenn er dich nicht ins Elend reißen soll! — Der Weise trägt die Welt in sich — nichts außer
ihm kann ihn zu Wort und Tat entflammen! — Wie fern bist du davon, mein Sohn!« Darauf sandte Schamika einen seiner Jünger nach Hastinapura und ließ dem König sagen, dass Schringin ihn in schnellem Zorn verflucht habe.
Voll Schrecken über die Gefahr, versammelte Parikschit seinen Rat, und dieser traf alle Vorsichtsmaßregeln, um den geliebten Herrscher vor der Natter zu schützen:
Der König wurde ins innerste Gelass des Palastes gebracht. Jeder Eingang, jede Spalte und Ritze wurde aufs sorgfältigste bewacht. Die besten Arzte rief man aus dem ganzen Land herbei und stellte Heilkräuter und Gegengifte bereit. Und doch ward der siebente Tag voll Sorge erwartet! In der Schlangenwelt aber herrschte eitel Freude: Voll Angst hatten die von Mutter Kadru verfluchten Geschöpfe der Erfüllung des Fluches entgegengesehen. Parikschits künftiger Sohn sollte das vernichtende Opfer feiern, und noch hatte Wasukis Schwester den ihr bestimmten Gatten nicht finden können. Nun befahl der Fluch Schringins, dass Takschaka Parikschit töte! und —
Parikschit hatte noch keinen Sohn. — Konnte ein Fluch den
anderen aufheben? _ Frohen Herzens zog Takschaka gegen Hastinapura. Vor dem Stadttor traf er Kasiap, den berühmtesten der Ärzte. Flugs nahm er die Gestalt eines Brahmanen an und näherte sich dem Weisen. »Wohin so eilig? würdiger Arzt!« rief er ihn an.>>Zum König! —- Takschaka will ihn heute beißen, und ich werde ihn heilen! « »O Weiser! Ich bin Takschaka, und meinem Gift ist deine Kunst wohl nicht gewachsen! — Sieh hier den Baum! — ich beiße ihn in die Wurzel — und schon verdorren seine Blätter —- Zweig‘ und Äste fallen — —« »Halt!« rief Kasiap. Rasch machte er sich an dem sterbenden
Baum zu schaffen, und wenige Augenblicke später trieb der Geheilte neue Knospen und grünendes Laub.
Takschaka stand betroffen da. »Ich staune über deine Kunst, weiser Arzt!« sprach er dann. >>Und doch wird es dir nicht gelingen, den König zu retten: Eines Brahmanen Fluch wirkt stärker als alles Gift! « Und da er den Arzt nachdenklich werden sah, fuhr der Schlaue fort:
» Kehre um, Weiser, und lasse deine Kunst nicht vor dem
Schicksal zuschanden werden! Soviel als dir der König geboten hat, soviel und noch mehr will ich dir geben.«
Damit war Kasiap zufrieden, und nachdem er des
Schlangenkönigs Geld genommen hatte, wandte er Hastinapura den Rücken und ging nach Hause. Takschaka schritt durch das Tor und kam bis zum Palaste des Königs. Als er sich hier von Wachen angehalten sah, ging er
hinweg und rief einige der Schlangen. Diese verwandelte er in Brahmanen und ließ sie am Tor des Palastes köstliche Früchte, als Huldigungsgabe für den bedrohten König, abgeben. Parikschit freute sich über die ehrerbietige Spende, doch als er einen der Äpfel öffnete, sah er darin ein kleines Würmchen. Erschrak er auch zuerst vor dem winzigen Schlänglein, so faßte er sich doch bald und sprach: »Der kleine Heilige soll wahr gesprochen haben: Ich will dies kleine Abbild der Schlange >Takschaka< nennen und mich von ihm beißen lassen! «
Lachend hielt er den zappelnden Wurm an seinem Hals.
Doch der schwoll zwischen seinen Fingern zum wahren König der Nattern an, umstrickte den Leib des Entsetzten und schlug seine Zähne in dessen nackten Hals.
Tod fiel Parikschit zu Boden, und im selben Augenblick brachte seine Gattin ein Knäblein zur Welt und nannte es Dschanamed- schaja. '

Zu jener Zeit zog ein büßender Brahmane namens Dscharatkaru als Bettler durch die Lande. Als ihn die Lust der Jugend zum erstenmal geschüttelt hatte, war sein feierliches Gelübde zum Himmel gestiegen:>>Ohne Freude will ich durch die Welt wandern, ohne Haus und
Eigentum leben; wo mich die Nacht findet, will ich mich schlafen legen! Herr will ich bleiben über Leib und Geist, Lust und Schmerz, Hass und Liebe! Dscharatkaru soll Dscharatkaru genügen!« In stiller Versunkenheit war er seither durch die Lande gezogen und hatte viel fromme Weisheit in sich gefunden. Einst kam er auf seiner Wanderschaft an einen Abgrund. Ein schwankendes Rohr sah er über die gähnende Tiefe ragen, und daran hingen, kopfabwärts, viele Seelen von Verstorbenen. Das Rohr hing nur noch an einer einzigen Wurzelfaser, und daran
nagten abwechselnd eine schwarze und eine weiße Maus.
Entsetzt schrie er auf: »O ihr Unglücklichen! Gleich wird die letzte Wurzelfaser reißen, und ihr stürzt in den schrecklichen Abgrund. Oh, könnt‘ ich euch helfen! Ein Viertel - die Hälfte — ja, meine ganze Buße will ich hingegen — wenn das euch retten kann, denn mein Herz ist von Mi Leid erfüllt!« '>>Nicht an Buße mangelt Guter!« sprachen die Seelen. >>Wir sind das fromme Geschlecht der Jajawara und haben die schönsten Plätze im Himmel! doch werden wir sie bald verlieren. Du weißt, die Seelen der Abgeschiedenen vergehen, wenn kein Enkel ihrer im Opfer gedenkt. Und Dscharatkaru, der letzte unseres Stammes, will unvermählt sterben. Siehe das Rohr, das
uns trägt, ist unser starkes Geschlecht. Die letzte Wurzelfaser ist der letzte unseres Stammes. Schwarz und weiß nagen Nacht und Tag an seinem Leben. Ist es zu Ende, so stürzen wir in den Abgrund der Hölle! O edler Fremdling, der du das Leid mit uns fühlst, suche Dscharatkaru und sage ihm, er soll ein Weib nehmen, auf dass sein Sohn den Shimm fortsetze, wie Brahma es den Menschen gesetzt hat!« Da warf sich Dscharatkaru an dem Abgrund nieder und schrie: _>>Ich Unglücklicher bin Dscharatkaru, euer Sohn und Enkel! Durch Weltflucht wollt’ ich euch und mir den Himmel verdienen, und mein strenges Gelübde droht euch nun mit dem Höllenpfuhl.
Oh — oh — wie bedrückt mein Schwur die Seele, seit ich euch über dem Abgrund sehe! — Ich will ein Weib suchen — ich kann mein Gelübde nicht brechen — — Find' ich ein Mädchen namens Dscharatkaru — denn: Dscharatkaru soll Dscharatkaru genügen! — und ist es bereit, mein Bettlerdasein zu teilen, so rette ich euch und mich!«
Und wie ein Wahnwitziger eilte er hinweg und schrie durch den Wald:>Wer schenkt seine Tochter einem Bettler? — Aus Barmherzigkeit!« Die Mädchen aber flohen vor dem schmutzigen, vom Fasten halb verhungerten Frommen, und er irrte weiter durch die Welt, überall seinen Bettelspruch um ein Weib wiederholend. Als die Schlangen den Einsiedler um ein Weib betteln hörten, gedachten sie der milden Worte Brahmas und brachten die Nachricht ihrem König Wasuki. Rasch eilte der um die Rettung seines Volkes Besorgte zu dem frommen Dscharatkaru und bot ihm seine schöne Schwester zur Gattin an. »Wie heißt deine Schwester?« fragte der Bußer.“Dscharatkaru, wie du!
>>Und weißt du, dass ich sie nicht ernähren kann? denn ich bin ein Bettler und habe gelobt, es zu bleiben‚«
>>Ich will sie beschenken und erhalten, als würde sie das Weib eines Königs!« sprach Wasuki. Da ging Dscharatkaru in Wasukis Palast, und vor dem heiligen Hausfeuer nahm er die Schlangenprinzessin in feierlicher Hochzeit zum Weibe. Als Dscharatkaru ihrem Gatten ein Knäblein schenkte, nannte sie es Astika, und der fromme Brahmane weihte es der Gattin Brahmas, Sarasvati, der Schirmherrin von Kunst und Wissen, der Göttin der Beredsamkeit. Aus dem reichen Gnadenschatz seiner Buße, schenkte Dscharatkaru dem Söhnlein die Gabe, dass niemand seinen Bitten widerstehen können sollte. Im Königspalast zu Hastinapura war einstweilen Dschanamedschaja zum gewaltigen Helden herangewachsen, und er führte die Herrschaft als kluger und tapferer König. Als er einst im Triumph von der Bestrafung eines raubsüchtigen Nachbarn heimkehrte, trat ihm Ruru, ein junger Brahmane, entgegen.>>Du glaubst von einer großen Tat zu kommen, König!« sprach er zu Dschanamedschaja. >>Und doch hast du nur Raub an deinem Eigentum bestraft, und der Mord an deinem Vater ist noch ungerochen!« »Was sprichst du da? Jüngling aus edlem Geschlecht!« rief der König. »Wer bist du? und wie starb mein Vater? «>>Ruru heiße ich, und vor wenigen Monden hat eine Natter meine Braut zu Tode gebissen. Yama, der gute Gott des Todes, hat auf mein inniges Flehen gewährt, dass ich das mir zugemessene Stück Leben mit ihr teile. So lebt sie wieder und ist meine Gattin, bis Yamas Boten uns — ach! lange vor der Zeit — holen werden. Doch den Nattern habe ich Rache geschworen und komme, dich, König, mahnen! Auch du hast die Pflicht, die Argen zu vertilgen, denn dein Vater Parikschit fiel unter dem Giftzahn des Natterkönigs Da berief Dschanamedschiaja den weisen Priester Utanka nach Hastinapura und ließ von ihm das große Schlangenopfer rüsten, denn der allein kannte die verborgensten Opferbräuche und die zwingenden Zaubersprüche. In der Opferhalle saß der junge König. Erlauchte Gäste aus allenLändern umgaben ihn: Herrscher aus den benachbarten Reichen, Freunde und Vasallen, viele edle Frauen und würdige Priester. Wyasa war gekommen, der greise Heilige, der als Sänger die
Heldentaten der Vorfahren pries und von der großen Schlacht am Kurufelde sang. In weiser Rede und Gegenrede glänzten die ehrwürdigen Brahmanen vor dem ganzen Hof und empfingen reiche Geschenke von dem freigebigen Herrscher. Und vor der Halle loderten die Opferfeuer! Priester in schwarzen Talaren schritten dazwischen umher und nährten sie mit Sandel und anderen kostbaren Hölzern, sprengten Weihwasser aus goldenen Becken nach allen Himmelsrichtungen und wiederholten
Utankas halblaut gesungenen Schlangenzauber

Kommt, ihr Sanften, Klugen, Schnellen!
Kommt, ihr Kinder Mutter Kadrus!
Grüne, gelbe, blaue, rote,
Schwarze Brut der braunen Erde!
Wärmt euch an der hellen Flamme,
Wie im Schein der goldnen Sonne,
Kühlt euch in geweihtem Wasser,
Wie in Indras Regenflut!
Kommt! und ruft die ganze Sippe:
Vater, Oheim, Bruder, Schwester
Und der Schwester flinken Gatten!
Kommt in Rudeln,
Kommt in Scharen!
Komm, du ganzes Volk der Schlangen!
Fünfundfünfzig,
siebenundsiebzig.
Neunundneunzigtausend Völker
Kluger Schlangen, eilt herbei!
Beißzahn, Schnellzung', Zähneschärfer,
Tausendgift, Gazellenwerfer,
Würger, Viper, Otter, Natter,
Ewigfresser, ewig Satter:
Hört und eilt und kommt herbei!
Wohl! ihr naht:
Es glänzt das Feuer,
Sprüht das Wasser wie ein Regen
Aus den güldenen Gefäßen,
Die des Priesters Hand geweiht!
Schwarzer Rauch steigt gegen Himmel
Und die ersten Opfer brennen,
Sterben nach der Mutter Fluch!

 

Weiter, weiter!
kommt in Scharen,
Kommt in Heeren!
Komm, du giffges Volk der Schlangen!
Fünfundfünfzig,
Siebenundsiebzig,
Neunundneunzigtausend Völker
Giffger Schlangen, eilt herbei!
Seht ihr, wie die Flamme loht?
Und die Flamme loht zum Tod!
Stürzt ins lodernde Verderben —
Alles end‘ im großen Sterben!
Die ihr in den Wäldern lauert,
Die ihr unter Steinen kauert,
Die ihr kriechet durch den Kot:
Kommt! — Nun prasselt euch der Tod!
Kommt, ihr Bösen, Gift‘gen
Kommt, ihr Kinder Mutter Kadrus!
Grüne, gelbe, blaue, rote,
Schwarze Brut der braunen Erde!
Brennt! ihr schnellen Zickzackläufer,
Dass ihr niemals wiederkehret!
Endet alle mit dem Mörder:
Takschaka! ich rufe dich!
Lockend und drohend klang es in die Wälder hinaus, fand
seinen Weg zum Ohr und Herzen der Schlangen, koste den
schlanken Leib und schüttelten ihn vor Entsetzen.
Langsam folgten die Gerufenen der unwiderstehlichen
Lockung. Langsam, doch stetig!
Angstvoll hielten sie nach den ersten Windungen an, riefen

 

Verwandte und Freunde, um in ihnen Kraft zum Widerstreben zu finden, und rissen die Herbeigeeilten nur mit auf den Weg zum Verderben. Das Säuseln des Windes trug die Zauberformel durch alle Lande: süß schmeichelnd und lockend, trotzig drohend und fesselnd! In allen Wäldern raschelte das Laub den seltsamen Spruch und
lockte die Schwachen zum Tode; die Bäche murmelten ihn aufihrem Lauf und die heißen Steine klirrten ihn in die Sonne! Weit und breit bedeckten sich die Wege nach Hastinapura mit gleitenden Schlangenleibern, und alles wogte nach den lodernden Feuern vor der Opferhalle. Das glitt und sprang und warnte den Nachbar vor der Gefahr, die ihn selbst anzog. Wie ein Rausch war es über die klugen Geschöpfe gekommen, wie ein vernichtender
Rausch und ein verzehrender Durst nach Tod und Todesfurcht! Wochen, Monde und Jahre währte das Opfer.
Hundert— und aberhunderttausend Schlangen waren dem
lockenden Rufe Utankas und seiner Priester schon gefolgt — waren ins lodernde Feuer geglitten und ihrer Mutter zu Ehren verbrannt. Wenige bargen sich noch in den geheimsten Schlupfwinkeln, doch zwingend klang auch dorthin das geheimnisvolle Raunen vom Feuer auf der Opfersstätte Takschaka war mit Wasuki zu dessen Schwester geflohen, die als Weib eines Brahmanen über den Zauber erhaben war. Doch blutenden Herzens beklagte die gute Dscharatkaru den Untergang ihres lieben Volkes. Wasuki seufzte, daß Astika, das Söhnlein der Schwester, erst zwölf Jahre alt sei, denn von ihm sollte den letzten des Schlangenvolkes Rettung werden, nach Brahmas mildem Spruch. — Ach! es würde zu spät sein! denn wenige waren nur, die dem Zauber noch widerstanden hatten. Als Astika die Klagen der Mutter und des Oheims hörte, tröstete er sie mit verheißenden Worten und eilte an den Hof Dschanamedschajas, um die letzten vom Geschlecht seiner Mutter zu erretten.
Takschaka aber fühlte den Zauber in seinem Herzen bohren und locken, und floh vor Entsetzen zu Indra, dass dieser traute Freund des regenfrohen Schlangenvolkes ihn vor dem sengenden Tod beschütze.

Und zu Hastinapura ging das Opfer weiter:
Kommt, ihr Bösen, Gift'gen, Falschen!
Kommt, ihr Kinder Mutter Kadrus!
Grüne, gelbe, blaue, rote,
Schwarze Brut der braunen Erde!
Brennt! ihr schnellen Zickzackläufer,
Dass ihr niemals wiederkehret!


Endet alle mit dem Mörder:
Takschaka, ich rufe dich!
So klang es in den Wald hinein, als der schöne Knabe Astjka zur Opferstätte kam.
Doch wehe: Die Wachen, die Diener des Palastes, die Priester - alle wiesen das Kind von der Stätte ernster Andacht, denn sie fürchteten eine Störung des Opfers, und Takschaka, das Ziel des jahrelangen Mühens, war von den lockenden Zaubersprüchen noch nicht bezwungen worden.
Da stand Astika an der weiten Pforte, die zur Opferstätte führte, und sah die Priester mit rauchroten Augen die Feuer schüren, den König und seine Gäste mit Andacht der heiligen Handlung folgen und über alles eine ernste Schönheit gebreitet. Begeistert hob er seine helle Knabenstimme, und jubelnd klang es zur Weihestätte:
» Oh, seht das herrliche Opfer! Die Feuer leuchten wie die Sterne am Himmel, und der Opferherr thront unter ihnen wie der lichte Mond. Golden und schiwarzrandig loht es zum Himmel, und rechtshin streicht der duftende Opferrauch, zur Freude der Götter. Frommen Herzens wandeln die Priester zwischen den Feuern, und ihre Weisheit ist die Brücke zwischen Menschen und Göttern.
Reich wird der Opferdank des gastfreien Königs sein, denn er ist der Herrlichste unter den Gatten der Erde — den Vätern der Völker! Segen ist in seinem Lande, soweit nur ein Auge reicht, denn er ist tapfer und gerecht und der Stolz seines Geschlechtes! Strengstes Opfer, das jemals zum Himmel flammte! Beste Brahmanen, die je einen Herrscher gepriesen! Edelster König, der Indra gleicht, wie er in den Wolken thront: seid gesegnet! « »Wer ist der Knabe mit der milden Weisheit eines Alten? « fragte Dschanamedschaja und ließ Astika vor seinen Thron führen.>>Heil dir, Herr der Erde!« sprach das schöne Kind, als es vor dem König stand. »Ich frage nicht, wie es die Sitte erheischt, ob Segen herrscht in deinem Reiche, ob dein Schatz gefüllt und dein Heer stark ist, ob du den Sechsten nach Recht und Pflicht nimmst! denn dein Auge verrät, dass du ein Guter, ein Edler, ein Weiser bist,
und mit solchen ist das Glück und die Gnade der Götter! «
»Du bist ein Weiser, liebliches Brahmanenkind sprach der
König voll Freude, »und ich will dir jegliche Gnade rweisen, die du erbittest. Fordere! Alles sei dir gewährt!«>>Halt! edler König!« rief Utanka in diesem Augenblick. >>Mein
sündenloses Auge sieht Takschaka, den lange vergebens
Gerufenen, in Indras Palast. Nun will ich ihn mit der Zange meiner Worte packen und herunterziehen ins verzehrende Feuer. Spare solang deine Bitte, schöner Knabe, und du deine Gabe, schenkender Herrscher, bis ich ihn fallen seh in den glühenden Tod!« Und ins tiefste Schweigen der Andacht sang der Priester sein lockendes Lied und schloss mit dem zwingenden: Takschaka! Dich rufe ich !
Und da litt es den Natternkönig nicht länger an des Freundes Seite; lautlos schlich er aus der Halle des Götterkönigs und glitt am Himmelsgewölbe abwärts, gegen die leuchtende Opferstätte von Hastinapura.
Indra wollte den treuen Freund retten, ihn zurückhalten von sicherem Verderben. Er sprang ihm nach und umklammerte den Abwärtsfliehenden mit seinen starken Armen.‘ Aber Utankas Ruf zog den Natternkönig wie an einer eisernen Kette, und Indra musste ihn lassen, wenn er den Sturz in den Tod nicht mitmachen wollte.
Schneller nun fiel der Verlassene und war wie ein leuchtender Blitz am Himmel zu sehen. »Jetzt ist Takschaka mir sicher!« rief der Opferer Utanka. »Nun
sprich deine Bitte, lieblicher Knabe, ehe er und die letzten seines Geschlechtes in den Flammen prasseln!«
»So will ich, dass das Opfer zu Ende sei!« rief der Sohn der Schlangenprinzessin, und ein Wink seiner Hand hielt den fallenden Takschaka am Himmel auf. Bestürzt rief der König:>>Was sinnst du, Knabe? — Um Takschakas willen ward dies furchtbare Opfer gefeiert, denn er hat meinen Vater getötet! «>>Und willst du darum das ganze Geschlecht meiner Mutter ausrotten? « sprach flehenden Auges Astika. Da schwieg der König, und auf seinen Wink wurden die Opferfeuer verlöscht. Astika hatte die letzten Schlangen vor dem Verderben bewahrt, und ihm danken die munteren Zickzackläufer, dass sie sich heute noch sonnen und in Indras Fluten kühlen können. Takschaka aber steht als Sternbild im Himmel, dort wo Astikas
Wink ihn festgehalten hat. Ein leuchtendes Beispiel für die
zwingende Gewalt geheiligter Bräuche und die alles besiegende Macht des reinen Geistes!