Des Hundes Noth

 
Es war ein Hund, der lag hungrig und kummervoll auf dem Felde, da sang über ihm eine Lerche ihr wonnigliches Liedlein mit süßem Ton. Als der Hund das hörte, da sprach er: "O Du glückliches Vöglein, wie froh Du bist, wie süß Du singest, wie hoch Du Dich aufschwingst! Aber ich - wie soll ich wich freuen? Mich hat mein Herr verstoßen, seine Thüre hinter mir gesperrt, ich bin lahm, bin krank, kann kein Essen erjagen, und muß hier Hungers sterben!"
Wie die Lerche den hungrigen Hund also klagen hörte, flog sie nahe zu ihm, und sprach: "O Du armer Hund! Mich bewegt Dein Leiden, wirst Du mir es auch Dank wissen, wenn ich Dir helfe, daß Du satt wirst?"
"Womit, Frau Lerche?" fragte der Hund mit matter Stimme, und die Lerche antwortete: "Sieh, dort kommt ein Kind gegangen, das trägt Speise zu jenem Ackermann; ich will machen, daß es die Speise niederlegt und mir nachläuft, indeß gehst Du hinzu, und ißt den Käse und das Brot, und stillest Deinen Hunger!
Der Hund bedankte sich dieses freundlichen Anerbietens, und die Lerche flog nun dem Kind entgegen, und begann es zu äffen. Bald lief sie vor ihm, bald flatterte sie auf dieser, bald auf jener Seite, bis das Kind dachte: die Lerche muß ich fangen, und zumal stellte die Lerche sich flügellahm, und ließ einen ihrer kleinen Fittige hängen wie gebrochen. Das Kind griff oft nach ihr, aber es haschte vergebens mit der einen Hand, und da legte es sein Tüchlein nieder, darin es das Essen trug, und lief der Lerche nach, die immer voran in einen Grund flog; indessen erhob sich der Hund, hinkte nach dem Tuche und schnüffelte hinein, da lag ein Stück Brod, ein Quarkkäse und vier gute Eier, die fraß er ungesotten und ungeschält, und den Käse untranchirt, und das Brot nahm er mit von dannen, als er fortkroch und sich in das Korn versteckte.
Die Lerche, als sie merkte, daß der Hund sein Theil hatte, flog in die Lüfte und sang lustig; das geäffte Kind aber verwünschte sie, und noch viel mehr, als es sein Tüchlein leer fand. Weinend ging es zurück zu seiner Mutter, und ob es Schläge bekommen hat, weiß ich nicht; es wird aber wohl etwas dergleichen abgefallen sein.
Die Lerche flog zum Hunde hin, und fragte ihn, wie er sich jetzt befinde? Er sagte ihr schönen Dank, und nie sei ihm wohler gewesen. "Nur eine Bitte, herzliebe Frau Lerche, habe ich noch auf dem Herzen," sprach er, "wer satt ist, der ist gern froh. O bitte, erzählet mir noch etwas, davon ich ein wenig lachen und lustig werden mag."
"Wohlan!" sprach die Lerche, "folge mir." Und da flog die Lerche voran und der Hund folgte ihr zu einer Scheuer, auf deren Dachboden man von der Erde leicht gelangen konnte; da hinauf hieß die Lerche den Hund steigen, und hinunter sehen, denn der Boden war schadhaft und durchgebrochen. Unten auf der Tenne standen zwei Kahlköpfe, die draschen; da setzte sich flugs die Lerche dem Einen auf die Glatze, und flugs klappste der Andere mit der Hand drauf, vermeinend die Lerche zu fangen; das kluge Vöglein war aber schneller als er, und flog zur Seite.
"Nun, Geselle, was soll das? Was schlägst Du mich?" fragte der erste Kahlkopf den andern. Der entschuldigte sich, daß ein Vögelchen sich ihm auf den Kopf gesetzt, dieses habe er erhaschen wollen; habe der Klapps weh gethan, sei es ihm leid. Indem setzte sich die Lerche auf die Glatze dessen, der eben sprach, und da schlug gleich der andre hin mit einem so harten Schmitz, daß der Kopf gewiß zersprungen, wenn er von Glas gewesen wäre, wenigstens brummte er dem Geschlagenen tüchtig und nun ging gleich das Schelten los, und beide Drescher warfen ihre Flegel hin, und wollten einander in die Haare: Weil sie nun keine Haare hatten, so konnte Keiner dem Andern welche ausrufen, und so kratzten sie einander auf die Glatzen, statt des Raufens, daß das Blut danach lief, und stießen sich hart; da ging es Glatz wider Glatz und Kratz wider Kratz, auch zerrten sie sich an den Ohren, und darüber mußte der Hund so unbändig lachen, daß ihm ganz weh ward, und er weder liegen noch stehen konnte, und da purzelte er vor Lachen von dem Boden hoch herunter, den Dreschern gerade auf die Kahlköpfe, daß sie stutzten, denn der Hund war schwer und diese Art, Haare auf den Kopf zu bekommen, kam ihnen spanisch vor. Sie wandten ihren Zorn gleich vereint gegen den Hund, und da sie Drescher waren, so draschen sie ihn so lange, bis er mit Ach und Krach durch ein Loch in der Scheuerwand und durch den Zaun fuhr, wobei ihm nicht nur das Lachen, sondern schier Hören und Sehen verging. Ganz mürb und marode legte er sich in das Gras hinter den Zaun, und da kam die Lerche geflogen, und fragte: "Edler Herr, wie befinden Sie sich?"
"Ei, Frau Lerche," ächzte der Hund, "ich habe vollauf genug. Ich bin ein ganz geschlagener Mann! Ich glaube meiner Treu, ich habe gar keinen Rücken mehr, die Drescher haben mir das Fell bei lebendigem Leibe abgeschunden und gegerbt. Ach, soll ich länger leben, so muß ich einen Wundarzt haben!" - "Wohl und getrost! Ich hole Euch auch den, so es irgend möglich ist," sprach die Lerche, und flog von dannen. Bald fand sie einen Wolf, den redete sie an: "Herr Wolf ? Ihr habt wohl gar keinen Appetit?"
"Ich, Frau Lerche," ward ihr zur Antwort, "was das betrifft so kann ich mit Wolfshunger dienen."
"Nun, wenn Ihr mir es danken wollt," sprach die Lerche weiter, "so wollte ich Euch wohl weisen, wo ein feister Hund liegt, der Euch kaum entrinnen wird!"
"O meine edle Königin, wie gnädig Ihr seid!" schmeichelte und schmunzelte der Wolf, und leckte sich die Zähne. Die Lerche flog vor ihm her, und er folgte ihr, und wie sie zu dem Hund kam, redete sie ihn an: "Nun Geselle? Schläfst Du? Willst Du nicht den Arzt sehen? Richte Dich auf, dort kommt der Doctor!"
"Wo? Frau Lerche?" fragte der Hund ganz müde, aber als er den Wolf sah, da schrie er: "Nein, Frau Lerche, nein! diesen Doctor nicht! Haltet ihn zurück! Ich bin gesund!" Und mit einem Satze war der Hund auf den Beinen, und fort, als flögen wir davon, daß ihm kein Zaun zu hoch und kein Graben zu breit war. So müsse es Allen gehen, die immer etwas Apartes haben wollen, und sich krank stellen, wenn sie schon gesund sind.