Als der greise König Pratipa, aus dem Geschlechte des Bharata, seinem Sohne Schantuna die Herrschaft übergeben hatte, sprach er zu dem neugeweihten >Herrn der Erde<>>Mein Sohn, nach dem Willen der Götter sollst du ein Weib am Ufer des Ganga finden. Frage die Herrliche nie nach ihrer Herkunft und billige schweigend, was sie auch täte! Das mußsst du der Geheimnisvollen geloben, denn es soll zu deinem Glücke führen!« Darauf legte er alle Zeichen seiner königlichen Würde von sich und schritt im Büßerkleid in den Wald: nordwärts gegen den eisstarrenden Himawat, aufwärts, immer aufwärts, bis ihn der leuchtende Himmel aufnahm. Denn so musste ein Held sterben, den der Tod auf dem Schlachtfeld gemieden hatte. König Schantanu aber durchstreifte die Wälder an der Ganga, jagend, harrend, hoffend, das sehnende Glück im ahnungsvollen Herzen. Und als er eines Morgens am Ufer stand und freudigen Sinnes die Schönheit des stolzen Stromes pries, da trat ein wunderschönes Weib zu ihm und grüßte mit holdseligem Lächeln: »Heil, König Schantanu, mein Herr und Gemahl!« »Du? — Du bist mir bestimmt?« stammelte Schantanu und schloss die Errötende in seine Arme.>>Stamme von Göttern oder Teufeln, von Riesen oder Menschen! ich will's nicht wissen, bring‘ Glück oder Elend, Leben oder Tod in mein Haus! ich will's nicht wehren. Doch sei mein Weib!«
»Ich will es sein und bleiben, solange du dieses Wortes
gedenkst!" sprach die Göttliche. Und vereint zogen sie nach Hastinapura, wo des Königs Palast stand, und hielten Hochzeit vor dem heiligen Fester, indem sie es, Hand in Hand, mit sieben feierlichen Schritten rechtshin
umwandelten. Viele Jahre lebten sie im Glück der innigsten Liebe, und der König gedachte schweigend seines Versprechens, wenn er mit geheimem Schauder sah, wie seine Gattin jedes ihrer Kinder gleich nach der Geburt in den Strom warf und dazu raunte:>>Menschliche Liebe rief dich ins Leben, Göttliche Liebe schenkt dir den Tod! « Sieben schöne Kindlein hatte die Mutter ertränkt, doch als sie das achte in ihre Arme nahm, da ward Schantanu vom Grauen überwältigt, und er vergaß sein Gelöbnis. »Halt' ein! Wer bist du, Schreckliche, die ihre Kinder mordet? Lass mir den letzten Sohn!« so schrie er angsterfüllt. » Er bleibt dir, Schantanu, doch ich muss dich verlassen!« sprach die Göttliche mit Tränen im Auge.> Höre denn, wie alles gekommen ist: ' ' Ich bin Ganga, die Stromgöttin, und der Ratschluss der Götter, wie meine Liebe, hat mich zu deiner Gattin gemacht. Die acht Erdgötter, die du als Wasu verehrst und deren vornehmster Djau heißt, hatten einst die Einsiedelei des Heiligen Wasischta betreten und seine Wunderkuh, die göttliche Nandini, geraubt. Denn die Milch dieser Edlen verleiht zehntausenjährige Jugend, und Djaus Gattin hatte eine Freundin auf Erden, die sie damit beglücken wollte. Als der Heilige den Raub entdeckte, ließ er seine sündlosen Augen über die ganze Erde schweifen und sah in weiter Ferne die acht Wasugötter mit seiner Nandini.
Da verhängte der Büßer in furchtbarem Fluch über sie, dass diese räuberischen Götter zur Strafe als Menschen geboren werden sollten. Traurig kamen die acht zu mir, denn einer, der reich an Buße ist, hat auch Macht über die Götter. Sie baten mich, dass ich sie als
Menschenkindlein zur Welt bringen und gleich im Strom ertränken solle.
Und als sie nun dich, Schantanu‚ als den edelsten der
Menschen, zu ihrem Vater erkoren, da schlug ich freudig ein. Und sie gelobten mir, jeder ein Achtel seines göttlichen Wesens im achten Kind ein ganzes Menschenleben durchlaufen zu lassen, auf dass du in deinem göttergleichen Sohn den Lohn fandest. Alles ist gekommen, wie es kommen musste! Dir bleibt ein Sohn,
doch ich muss scheiden! — Lebe wohl!« Darauf verschwand die Göttin und ließ das Knäblein Bhischma in des Vaters Armen zurück. Während Schantanu in treuer Sorge um sein Reich langsam den Schmerz um die verlorene Gattin verwand, wuchs Bhischma zum unüberwindlichen Helden heran. Einst fand der Jüngling seinen Vater betrübt und schweren Herzens und fragte, was ihn so sehr bekümmere. Und als der Gramgebeugte schwieg, erforschte er die königlichen Räte und erkannte gar bald das Leid des Bekümmerten. An der Jamuna hatte Schantanu des Fischerkönigs Tochter, Satjawati, gesehen, die dort die Wanderer in einem Nachen über den Strom setzte. Und er hatte die Liebliche gebeten, ihn zu ihrem Vater zu bringen. Vom Fischerkönig hatte er die schöne Tochter zum Weib erbeten, doch dieser hatte Unerfüllbares verlangt: »Ein König, der Satjawati schwören, den Sohn, welchen sie ihm schenken wird, zu seinem Nachfolger zu weihen! «
Da musste Schantuna auf die liebliche Maid verzichten, weil er Bhischmas älteres Recht nicht kränken wollte.
Als Bhischma das Leid seines Vaters erkannt hatte, ließ er
anschirren und fuhr zum Fischerkönig. Dem gelobte er, auf seine Thronrechte zu verzichten und unvermählt zu bleiben, so dass sein Geschlecht mit ihm erlösche.
Der Fischerkönig nahm sein Versprechen voll Freude an und übergab ihm die Tochter. Satjawati bestieg Bhischmas Wagen, und im Triumph führte der Sohn dem Vater sein Glück zu. Doch waren Schantanu nur wenige Jahre des neuen Gattenglückes beschieden. Satjawati hatte ihm zwei schöne Knaben geschenkt: Tschitrangada und Witschitrawiria; doch sie waren beide noch Kinder, als Schantanu starb. Seinem Versprechen getreu, weihte Bhischma den älteren zum >Herrn der Erde< und erzog beide zu tapferen Helden. Aber Tschitrangada griff in toller Kampflust Menschen und Götter an und fiel, noch jung an Jahren, im Kampf gegen den Gandharwerkönig, den Herrn der himmlischen Spielleute. Nun weihte Bhischma Satjawatis jüngeren Sohn, den Witschitrawviria, zum König und beschloss, ihn alsbald zu vermählen. |