<%@LANGUAGE="JAVASCRIPT" CODEPAGE="65001"%> Recht oder Macht?

Recht oder Macht?

 

Das große Familienfest gab dem Pandava
Gelegenheit, die Getreuen ihres Hauses, die Freunde
und Verfechter ihres Rechtes, um sich zu versammeln
und in emstem Rat die schnelle Tat zu erwägen.
Krischna kam, der Treuste, mit seinem tapferen
Heerführer Kritawarman, der greise Drupada mit
seinen Söhnen Drischtadjumna und Schikhandin,
ferner Jujudhana, Fürst der Someker, und viele
andere. Wohl riefen die Speergewvaltigen alle nach Krieg
und schnellem Schlagen, doch der edle J udhischthira
bebte vor dem Bludbad im eigenen Hause zurück. Der
König der Gerechtigkeit gelobte, nichts unversucht zu
lassen, was auf friedlichem Wege zum Siege führen
könnte, doch auch lieber vom Schwerte zu sterben,
als das Recht unterliegen zu sehen. Der würdige Hauspriester Viratas wurde an den Hof der Kaurava gesandt. Er sollte dort das Elend schildern, welches das verbannte Haus des
rechtmäßigen Großkönigs hatte erdulden müssen,
und für Judhischthira diejenige Reichshälfte fordern,
die dieser vor Schakunis betrügerischem Spiel
beherrscht hatte. Der Brahmane zog nach Hastinapura, und die fürstlichen Gäste eilten heim, um ihre Heere zurüsten, denn keiner wollte an Frieden aus den Händen des Neidlings Duijodhana glauben. Krischna war am Abend in Dwaraka angekommen und schlief, von der schnellen Fahrt ermüdet, in den hellen Morgen hinein, als König Duijodhana sich vor
ihn führen ließ. Im selben Augenblick trat Ardschuna,
der dem Freund in aller Eile gefolgt war, ins Schlafgemach des Jadavas. Der Blick des Erwachenden traf die beiden unversöhnlichen Gegner. Beide brachten ihre Bitte vor: der tapfere Jadavafürst möchte für ihre Sache einstehen! Da
sprach Krischna: >>Ihr seid meine Gäste! Keinem will
ich die Bitte abschlagen, beiden kann ich sie nicht
gewähren, so muß mein Schwert in der Scheide
bleiben! Doch wählet jeder ein Gastgeschenk: Dem
einen gebe ich mein Heer, unter Führung des
tapferen Kritawarman, dem anderen mich, als Berater
und Freund! «
Ohne sich lange zu besinnen, wählte Ardschuna
den klugen Jadavafürsten als Freund und Berater;
triumphierend zog Durjodhana ab, mit ihm Krischnas
Krieger, die tapferen Bodschas, Andhakas und
Kukuras, unter Führung Kritawarmans. Krischna
aber umarmte den Freund und versprach, als
Wagenlenker nicht von seiner Seite zu weichen, bis
der Kampf zum Siege der Pandava geführt habe.
Die Sendung des priesterlichen Friedensboten
blieb ohne Ergebnis. Der blinde König wagte es nicht,
eine Entscheidung zu treffen, solange sein
herrschsüchtiger Sohn vom Hofe abwesend war, und
als Durjodhana endlich mit Krischnas Heerbann
eintraf, stand Dhritaraschtra wieder ganz unter dem
Willen des Gierigen.
Sandschaja, der Wagenlenker, sollte den
hochgeehrten Gesandten nach Hause geleiten und
dem harrenden Judhischthira des Königs Antwort überbringen: Er liebe den Frieden über alles, aber das
ganze Reich sei Durjodhanas rechtmäßiges Erbe!
Zu Upaplavia waren die Pandava und viele ihrer
fürstlichen Freunde versammelt, als Sandschaja seine
Botschaft verkündete. Wilder Waffenlärm erfüllte die Halle, als die heuchlerischen Friedensworte verklungen waren:
Krieg! auf gegen die Kaurava! zu den Waffen! so
scholl es durcheinander.
Judhischthira streckte die Hand in den wogenden
Lärm, und er verstummte.
» Freunde und Brüder!« sprach er. »Pandu ward
zum Großkönig geweiht, denn der ältere Bruder war
blind, und das uralte Gesetz fordert, daß der König bei
seiner Weihe gesund sei. Als mein Vater zur Buße in
die Berge zog, war ihm noch kein Sohn geboren. Er
gab die Herrschaft dem Bruder, doch das Erbe des
Geschlechtes kann kein Mann vergeben, das schenkt
nur das Recht der Geburt. Mein ist das Reich, denn mit mir ist das Recht!- Soll ich mich vom Reiche und
damit vom Rechte lassen? — Niemals! — Soll ich den
Tod ins Haus meiner Väter tragen? Niederbrennen,
was mir das Liebste war? Im Kampfe stehen gegen die
Vettem, die meine Jugend teilten, gegen die Lehrer,
die meine Jugend schirmten? Den guten Kripa töten,
den würdigen Drona und unseren so heißgeliebten
Großvater Bhischma? — Ich muß, wenn mir mein
Recht nicht wird! Toren nur handeln im Wahne,
Unrecht sei Recht! «
Totenstille herrschte im Saal — da hörte man ein
unterdrücktes Stöhnen — dann stürzte Bhima laut
weinend zu Füßen seines edlen Bruders und
schluchzte: » Friede! Bruder, Friede!«
Als hätten Berge die Schwere verloren, als käme
vom Feuer ein kalter Hauch, so staunten alle, den
trotzigen Sohn des Sturmgottes in Tränen zu sehen.

Der kaltblütige Krischna warf in diese Stille der
Bewegtheit die Frage: >>Seit wann weint Bhima, wenn
es zur Rache geht?«
Da sprang der Unbändige beschämt auf und ballte
die Faust: >>Bei Indra!« rief er. »Du sprichst zur
rechten Zeit! Fast hätt‘ ich mich verloren vor dem
Elend, das der König des Rechtes geschildert hat.
Genug! Auf, Judhischthira, führ‘ uns nach dem
Kurufeld! Die Waffen schützen dein Recht, wo die
Worte versagen! «
>>Bedenkt!« sprach Judhischthira ernst, »es ist das
Blut der Bharata, das fließen soll! — Noch einmal will
ich den Frieden suchen: mag Durjodhana des Reiches
Krone tragen, doch um des Rechtes willen soll er uns
nur fünf Dörflein geben; fünf kleine Dörfer für die
Söhne des Großkönigs!«
Da sprang Draupadi in den Kreis der Männer.
>>Pfui!« rief sie, »spricht so mein stolzer Gemahl? -—
Feigling! Bald gefüllt ist eine seichte Pfütze‚ leicht zu
füllen die Faust einer Maus, doch die Tatze des Löwen
schlägt nach dem Herzen! Bald befriedigt ist der
Feigling, mit Kleinstem schon begnügt er sich.
Erbarmen und Gerechtigkeit sind des Kriegers
Tugenden nicht! Flammt auf und brennt, stolze
Herzen, im Haß! Besser leuchten und verbrennen, als
eine Ewigkeit qualmen im Dunkeln! Von dessen
Taten die Menschheit nicht Wunder erzählt, der hat
den Haufen gemehrt, doch niemals gelebt! Zum
Kampf! Gedenkt eurer Racheschwüre! «
>>Auf‚ auf! « jubelte Ardschuna. »Mein Schwert
tanzt in der Scheide! — Will Durjodhana den Krieg,
wohlan - mein Bogen gähnt!«
»Ja, auf! « brüllte Bhima. >>Hat der Kuru Durst
nach dem Tod, so mag er den im eigenen Blute
löschen. Ich will über sie kommen: Eh‘ tritt der Ozean
aus seinen Ufern, Berge sollten eher spalten, eh’ ich meinen Eid vergesse! Wehe Duchschasana!«
»Wehe! wehe!« dröhnte es durch den Waffenlärm.
Judhischthiras stolze Handbewegung gebot Ruhe:
>>Euch geziemt, den Kampf zu lieben, mir, das
Recht und den Frieden zu schirmen!
Es bleibt bei meinem Königswort! Du, Krischna,
kluger Freund, sollst nach Hastinapura eilen. Führ'
unsere Sache mit all deiner Weisheit! -— Fünf Dörflein,
sie bewahren den Frieden und schützen das Recht! «
Schweigend schritten die Helden auf einen Wink
des Königs aus der Halle. Krischna bestieg seinen
Wagen und fuhr nach Hastinapura.
Am Hofe Dhritaraschtras wurde der edle Gesandte
mit allen Ehren empfangen. Der alte und der junge
König boten ihm ihre Gastfreundschaft an, doch
Krischna lehnte sie dankend ab und bezog das Haus
des gütigen und weisen Vidura, in welchem auch die
greise Mutter der Pandava, die edle Kunti, ihr seit der
Verbannung der tapferen Söhne so trauriges Dasein
Am nächsten Morgen trat Krischna vor die
Versammlung der Kurufürsten, sprach in beredten
Worten vom Elend der Pandava bei all ihrem Adel,
pries ihre Geduld bei all ihrer Kraft, ihre Mäßigkeit im
Fordem bei all ihrem Recht, und verlangte von
Durjodhana die friedliche Abtretung des halben
Reiches mit der Hauptstadt Indraprastha.
Alle, die es mit dem Kuruvolk ehrlich meinten,
lobten die weise Mäßigung der einst so schwer
gekränkten Pandusöhne. Vor allem die Alten!
Bhischma, Drona und Kripa reichten dem klugen
Gesandten die Hand und unterstützten seine Worte
mit friedfertigen Reden, versönlichen Vorschlägen
und ahnungsvollen Warnungen vor dem Bruderkrieg.
König Durjodhana hatte einstweilen mit seinen
Getreuesten gesprochen.
Karna hatte zum Kriege geraten, um seiner Freude
am Kampf, um seiner Hoffnung auf Rache willen. Der
schlaue Oheim. Schakuni, der wüste Bruder
Duchschasana, pochten auf den starken Anhang, den
der Machthaber immer finden kann. Sie freuten sich,
alle die Demütigungen der Pandava durch einen Sieg
in offener Schlacht zu krönen. Durjadhanos Habgier
hieß ihn einen Weg meiden, der zu einer
Verminderung seiner Habe, seiner Macht führte. —
Er sprang auf und rief in das Durcheinander der
Stimmen:
»Schweigt! —- schweigt mir von einem Frieden, der
erhandelt werden müßte, wie ein Stück Vieh!
Judhischthira spielt vor aller Welt den, der um des
Rechtes willen leidet. Er heuchelt, um mich gefahrlos
zu berauben.
Kennt ihr die Fabel von dem gefräßigen Kater, dem
kein Tierlein mehr über den Weg traute: Halb
verhungert, spielt er den Büßer und Asketen, stand
mit zum Himmel erhobenen Pfoten am Ufer der
heiligen Ganga und schrie seine Gottesfürchtigkeit in
alle Welt. Da kamen die harmlosen Tierlein, die
Mäuse und Vögel, und baten ihn, ihnen doch von
seiner Heiligkeit mitzuteilen, denn sie wären allesamt
Sünder und darum ewig von den Stärkeren verfolgt.
Der scheinheilige Kater aber stellte sich ganz ermattet
von der Strenge seiner Bußübungen und bat, ihn in
seine Höhle zu tragen: dort wolle er den Schatz seiner
Buße an die unschuldig verfolgten Kleinen verteilen,
daß sie hinfort in Frieden leben könnten.
Da drängten sich Vöglein und Mäuschen um den
falschen Heiligen, und auf ihren hundert und
aberhundert winzigen Schultern trugen sie ihn in
seine Höhle. Dort sprang der Ermattete auf, stellte
sich an den Eingang und zerriß mit seinen Krallen
alle, die seine Frömmigkeit nicht bezweifelt hatten.

Nun, ich zweifle an Judhischthiras Gerechtigkeit!
Nicht eine Hand will ich rühren, um den Kater in
seine Höhle zu tragen.
Ich zweifle an dem Recht der Pandava auf eine
Krone des Bharatareiches:
Dhritaraschtra war der älteste Sohn des
Großkönigs Witschitrarviiia. Ihm hätte die Weihe
gebürt! Er hat das Reich auch beherrscht, seit sein
Bruder zur Buße in den Wald ging. Von ihm stammt
mein Recht, das Diadem um den Turban zu
schlingen, unter dem gelben Schirm zu sitzen und
Königsschuhe zu tragen. Nur mir ward das Recht, das
ganze Reich zu beherrschen. Mögen die Vettern ruhig
im Kamjakawalde bleiben, so will ich vergessen, daß
sie nach meinem Thron getrachtet haben. Das ist der
Friede, um den nicht gehandelt wird! Von meinem
Reiche geb‘ ich nicht so viel Boden, als eine
Nadelspitze bedeckt! «
Einige murrten, die Alten mahnten, doch die
Mehrheit jubelte dem König zu, denn Schakuni und
Duchschasana unterstützten die Worte Durjodhanas
gar eifrig mit großspurigen Reden.
»So höre mein letztes Wort!« sprach
Krischna. >>Nur um des Rechtes willen, das dem
Sohne des Rechtsgottes ein Heiligtum ist, will
Judbischthira sich begnügen, wenn du ihm die
Herrschaft über fünf Dörflein läßt! Nicht Macht, nicht
Reichtum sucht der König der Gerechtigkeit, aber wie
sollte er leben, wo das Recht mit Füßen getreten
wird!«
»Wackrer Judhischthira! Braver Gesandter!« klang
es von den Sitzen der Alten.
»Schweigt!« herrschte Durjodhana sie an. >>Nicht
so viel Land, als eine Nadelspitze bedeckt! — Ich hab's
geschworen! — Du, Krischna, sei auf deiner Hut!
Deine Unverletzlichkeit als Gesandter gilt mir nichts, wenn du Zwietracht an meinem Hofe säst. Ich lasse
dich binden wie einen Sklaven! «
»Du irrst,« sprach Krischna stolz, »wenn du
glaubst, daß ich dich fürchte! Doch mein Amt ist
damit zu Ende!«
>>Bleib', edler Jadavafürst!« sprach der greise
Bhischma, sich erhebend, »Ich habe vor vielen
Jahren auf die Herrschaft über dieses Reich
verzichtet. Ich bin der Diener dieses schnellzüngigen
Königs, sein bestes Schwert, sein erster Rat! — Und
ich rate zum Frieden! Ich rate zur Versöhnung! Ich
rate, einen Krieg zu vermeiden, der das Blut der
Bharata stromweise trinken muß, mag hier oder dort
der Sieger stehen! — Hört auf mich, den Alten, der
viele Geschlechter leben und sterben sah: Haltet
Frieden!«
Als sich bei den Worten des greisen Recken ein
Murmeln der Zustimmung hören ließ, sprang der
goldschimmernden Karna, der starke König von Anga,
von seinem Sitze empor und rief voll Leidenschaft:
>>Frieden? Frieden? Sind wir nicht Krieger? — Ich
achte die Erfahrung des Alters, aber nicht seine
kindische Schwäche. Bhischrna hat Kriegsruhm
aufgehäuft, daß er wohl daran zehren kann bis an sein
Ende! Fürchtet der Alte, daß ihn die Jungen nun
übertreffen könnten, so mag er zu Hause bleiben und
auf den Strohtod warten. Doch wir, die noch Mark in
den Knochen und Mut in den Herzen tragen, wir
wollen hinaus und den übermütigen Pandava zeigen,
wo die besseren Männer stehen!«
>>Gemach!« rief Bhischma, sich trotzig
aufrichtend, >>gemach, Karna, noch bin ich der
unbezwungene Gangasohn, der erste Prinz der
Bharata, dem wohl das Herz bluten darf, wenn sein
edles Geschlecht sich selbst zerfleischen will, um
Recht und Unrecht, Hab und Gut! Du freilich ahnst es nicht, wie kostbar mir jeder Tropfen königlichen
Blutes ist, denn du bist und bleibst ein Fuhr-
mannssohn!«
>>Wehe!« rief Karna, >>auch hier das verhaßte Wort!
— Höre, Durjodhana: ich bin dein Freund und
getreuer Vasall; doch hier schwöre ich beim
strahlenden Gott der Sonne: nie will ich zugleich mit
jenem Alten meine Waffen für dich gebrauchen!
Möge es allen klar werden, wer der bessere Krieger
ist: Karna, der Fuhrmannssohn, oder Bhischma, der
erlauchte Bharatasprößling! Ficht er, so groll‘ ich im
Zelt; fällt er, so fiihr‘ ich die Deinen zum Sieg oder
sterb‘ als dein tapferster Krieger!«
Damit wandte sich der Zornmütige und schritt aus
der Halle.
Ein Wink des Königs löste die Versammlung auf,
und Krischna ging in das Haus seines Gastfreundes,
um der edlen Kunti vom Scheitern seiner
Gesandtschaft ,zu berichten und von ihr Urlaub zu
erbitten.
Doch kaum war erzählt, was sich alles in der Halle
zugetragen hatte, so bat Kunti ihren Brudersohn,
seine Abreise zu verschieben und ihr zu folgen.
Krischna gehorchte der edlen Matrone, und rasch
trugen einige Sklaven des Hauses die beiden in einem
geschlossenen Tragstuhl nach dem Paläste des
zümenden Karna.
Karna empfing die edle Greisin mit Ehrerbietung,
den Gesandten mit schweigendem Gruß.
>>Höre mich, edler Karna!« begann Kunti. >>Ich
sehe die gerunzelten Brauen auf deiner Stirne und
weiß, was sie bedeuten: Sie haben dir deine Abkunft
vorgeworfen! — Nun, sieh freudig ins Leben! Das
kann dich nicht treffen, denn du bist eines Gottes
Sohn und — der meine! —- Oh, nicht diese Bewegung
der Abwehr — der Ungläubigkeit —— höre, wie alles kam:
Ich war noch ein kleines Mädchen, als ein Heiliger
zu uns kam und die Gastfreundschaft meines Vaters
erbat. Dieser räumte dem frommen Büßer sein Haus
ein und bestimmte mich zur Dienerin des
Ehrwürdigen.
Voll Eifer erfüllte ich meine Pflicht, und der heilige
Mann, der ein Jahr lang bei uns geblieben war, gab
mir beim Abschied einen Zauberspruch, der mir jeden
Gott vom Himmel herabrufen konnte.
Ich war zur Jungfrau geworden und stand eines
Abends auf dem Söller meines Schlafgemaches, als
die Sonne voll glutroten Scheines ins Meer tauchte.
>>Herrlich!« rief ich, »o könnte ich Surya doch von
Angesicht zu Angesicht sehen!«
Da fiel mir der Zauberspruch, das Geschenk des
guten Heiligen, ein.
Neugierig — ängstlich — halb im Spiel — murmelte
ich die geheimnisvollen Worte und gedachte des
Tausendstrahligen vollinnigerSehnsucht. — Schon
stand er vor mir im müden Glanz seines goldschim-
memden Panzers, das freundliche Antlitz zwischen
dem prächtigen Schmuck seiner Ohren! — Ich zitterte
vor dem Erhabenen und bat ihn, ob des kindischen
Spieles nicht zu zürnen!
Da umarmte und küßte mich der Gott und
versprach, mir einen Sohn zu schenken. Ich bat den
Strahlenden, das Söhnlein mit dem undurchdringli-
chen Panzer aus Gold und dem schimmemden
Ohrgeschmeide auszurüsten, auf daß es glänze vor
allen Helden der Erde. Freundlich lächelnd nickte der
Sonnengott Gewährung und verschwand.
Als das Kindlein zur Welt kam, hatte es einen
goldenen Panzer um die junge Brust und die
glänzenden Ringe Suryas in den Ohren. Ich fürchtete
den Zorn des Vaters, legte das schöne Knäblein, bittere Tränen weinend, in einen mit Wachs
überzogenen Weidenkorb und setzte das kleine
Fahrzeug mit vielen heißen Segenswünschen auf den
Fluß. Der Wagenlenker Adhiratha und seine edle Gattin
Radha, die den Sonnengott schon lange um einen
Sohn gebeten hatten, fanden das kleine Schifflein,
waren voll Freude und haben dich, mein Sohn Karna,
in aller Liebe erzogen! Willst du mir nun die anderen
Söhne töten? — Deine Brüder: den edlen
Judhischthira, den starken Bhima, den linksspannen-
den Schützen Ardschuna —?«
>>Halt!« rief Karna, >>der Name ruft meine
Racheschwüre wach, die eingeschlafen waren bei
deinen süßen Worten! — -— Was doch eine Mutter
alles ersinnt, um ihre Söhne vor sicherem Tod zu
bewahren!«
»O Karna, ich verdiene dein Mißtrauen, denn ich
habe nicht als Mutter an dir gehandelt — doch meine
Worte sind wahr, beim allessehenden Gott! «
Da füllte sich das Gemach mit blendendem
Sonnenschein, daß die drei ihre Augen vor der Fülle
des Lichtes schließen mußten, und eine Stimme klang
in Karnas Ohr und sprach:
>>Mein Sohn, das Weib hat wahr gesprochen! «
Da neigte Karna sein Haupt in Ehrfucht vor dem
göttlichen Vater, und als er sich aufrichtete, war die
Fülle des Lichtes verschwunden, das Gemach nicht
heller als sonst.
»Höre, edler Karna!« sprach nun Krischna, »als
ältester Kuntisohn bist du das Haupt der
Pandavasippe! Komme mit mir! Der rechtliche
Judhischthira läßt dir die Herrschaft, und wir
brennen dies Nest der Neidinge aus!«
»O schweige, schlauer Versucher!« rief
Karna. >>So1l ich die Treue wvechseln wie einen Mantel, der mir nicht mehr gefallt? — Soll ich Ardschuna
lieben, der rnir Draupadi genommen, und Durjodhana
hassen, der mir Freundschaft und Ehre erwiesen? —
Soll ich Radha verleugnen, die nicht meine Mutter ist,
aber mir eine Mutter war? — Soll ich Kunti Mutter
nennen, die den Sohn des Sonnengottes
Fuhrmannssohn schmähen ließ?— Geht - geht! —
Deine Söhne, du ungerechte Mutter‚ will ich schonen
—— bis auf Ardschuna den werde ich tödlich hassen
bis an mein Ende — die Madrizwillinge laß ich dir für
ihn — geh‘ — geh’ — das ist alles, was du von dem
Fuhrrnannssohn fordern kannst — Mutter! «
Mit verhülltem Antlitz wandte er sich ab, alsKrischna die weinende Greisin aus dem Hause führte.