Des Märchens Geburt |
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Es war einmal eine Zeit, da es noch keine Märchen gab, und die warbetrübend für die Kinder, denn es fehlte in ihrem Jugendparadiese derschönste Schmetterling. Und da waren auch zwei Königskinder, diespielten mit einander in dem prächtigen Garten ihres Vaters. Der Gartenwar voll herrlicher Blumen, seine Pfade waren mit bunten Steinen und Goldkiesbestreut, und glänzten wetteifernd mit, dem Thaugefunkel auf denBlumenbeeten. Es gab in dem Garten kühle Grotten mit plätscherndenQuellen, hoch zum Himmel aufrauschende Fontamen, schöneMarmorbildsäulen, liebliche Ruhebänke. In den Wasserbecken schwammenGold - und Silberfische; in goldenen großen Vogelhäusern flattertendie schönsten Vögel und andere Vögel hüpften und flogenfrel umher, und sangen mit lieblichen Stimmen ihre Lieder. Die beidenKönigskinder aber hatten und sahen das alle Tage, und so waren siemüde des Glanzes der Steine, des Duftes der Blumen, der Springbrunnen undder Fische, welche so stumm waren, und der Vögel, deren Lieder sie nichtverstanden. Die Kinder saßen still beisammen und waren traurig; siehatten alles, was nur ein Kind sich wünschen mag, gute Aeltern, diekostbarsten Spielsachen, die schönsten Kleider, wohlschmeckende Speisenund Getränke, und durften tagtäglich in dem schönen Gartenspielen - sie waren traurig, obschon sie nicht wußten, warum? und nichtwußten, was ihnen fehle. Da trat zu ihnen ihre Mutter die Königin, eine schöne hohe Frau mitmildfreundlichen Zügen, und sie bekümmerte sich darüber,daß ihre Kinder so traurig waren und sie nur wehmüthiganlächelten, statt mit Jauchzen ihr entgegen zu fliegen; sie betrübtesich, daß ihre Kinder nicht glücklich waren, wie doch Kinder seinsollen und sein können, weil sie noch keine Sorgen kennen, und weil derHimmel der Jugend meist ein wolkenloser ist. Die Königin setzte sich zu ihren beiden Kindern, die ein Knabe und einMädchen waren, und schlang um jedes derselben einen ihrer vollenweißen Arme, welche goldne Spangen schmückten, und fragte garmütterlich und liebreich: "Was fehlt euch, meine lieben Kinder?" "Wir wissen es nicht, theure Mutter!" sprach der Knabe. "Wirsind so traurig!" sprach das Mädchen. "Es ist so schön hier in diesem Garten, und ihr habt alles, was euchFreude machen kann; macht es euch denn keine Freude?" fragte dieKönigin, und eine Thräne trat in ihr Auge, aus dem eine Seele vollGüte lächelte. "Nicht genug Freude macht uns, was wir haben," antwortete dieserFrage das Mädchen. "Wir wünschen uns was, und wissen nicht,was!" setzte der Knabe hinzu. Die Mutter schwieg bekümmert, und sann nach, was wohl die Kinderwünschen möchten, das sie mehr erfreue, als die Pracht des Gartens,der Schmuck der Kleider, die Menge der Spielsachen, der Genuß edlerSpeisen und Getränke, aber sie fand nicht, was ihre Gedanken suchten. "O wäre ich nur selbst wieder ein Kind!" sprach die Königinstill zu sich, mit einem leisen Seufzer: "dann fiele mir wohl bei, wasKinder froh macht. Um Kindeswünsche zu begreifen, muß man selbst einKind sein. Aber ich bin schon zu weit gewandert aus dem Jugendlande, wo diegoldnen Vögel durch die Bäume des Paradieses fliegen, jeneVögel, die keine Füße haben, weil die Nimmermüdenirdischer Ruhe nicht bedürfen. O käme doch ein solcher Vogel her, undbrächte meinen theuern Kindern, was sie glücklich macht!" Siehe, wie die Königin also wünschte, da wiegte sich plötzlichüber ihr in den blauen Lüften ein wunderherrlicher Vogel, von dem einGlanz ausging, wie Goldflammen und Edelsteinblitze, der schwebte tiefer undtiefer, und es sah ihn die Königin, es sahen ihn die Kinder. Diese riefennur: "Ah! ah!" und Staunen ließ sie keine anderen Worte finden. Der Vogel war überaus herrlich anzusehen, wie er, immer tiefer schwebend,sich niedersenkte, so schimmernd, so glänzend, imRegenbogenfarbengefunkel, fast das Auge blendend, und doch immer wieder dasAuge fesselnd. Er war so schön, daß die Königin und die Kindervor Freude leise schauerten, zumal sie jetzt das Wehen seiner Flügelfühlten. Und ehe sie es atmeten, so hatte sich der Wundervogel niedergelassen in den Schooß der Königin, der Mutter, und sah aus Augen,die wie freundliche Kinderaugen gestaltet waren, die Kinder an, und doch waretwas in diesen Augen, das die Kinder nicht begriffen, etwas Fremdartiges,Schauerhaftes, und sie wagten darum nicht, den Vogel zu berühren, auchsahen sie jetzt, daß der seltsame, überirdisch schöne Vogelunter seinen glänzendbunten Federn auch einige tiefschwarze Federn hatte,die man aber von Weitem nicht gewahrte. Indeß blieb den Kindern zunäherer Betrachtung des schönen Wundervogels kaum so lange Zeit, alsnöthig war, dieß zu erwähnen, denn alsbald hob sich der Vogelwieder empor, der Paradiesvogel ohne Füße, schwebte, schimmerte,flog immer höher, bis er nur eine im Aether schwimmende bunte Federschien, dann nur noch ein goldner Streif, und dann entschwand - so lange aber,bis das geschah, sahen ihm auch die Königin und die Kinder mit Staunennach. Aber o Wunder! Als Mutter und Kinder wieder niederblickten, wie stauntensie da auf's Neue! Auf dem Schooße der Mutter lag ein goldnes Ei, dashatte der Vogel gelegt, o und das schimmerte auch so grüngolden undgoldblau wie der köstlichste Labradorstein und die schönstePerlenmuschel der Meerestiefen. Und die Königskinder riefen aus einemMunde: "Ei! das schöne Ei!" Die Mutter aber lächelte selig,und ahnete voll Dankgefühl, das müsse der Edelstein sein, der nochzum Glück ihrer Kinder fehle, das Ei müsse in seinerzauberfarbigschillernden Schaale ein Gut enthalten, das den Kinderngewähre, was dem Alter versagt ist, Zufriedenheit, und das ihre Sehnsucht,ihre kindische Trauer stille. Die Kinder aber konnten sich nicht satt sehen an dem prächtigen Ei, undvergaßen bald über dem Ei den Vogel, der es brachte; erst wagten sienicht, es zu berühren, endlich aber legte das Mägdlein doch einesseiner rosigen Fingerchen daran, und rief plötzlich, indem seinunschuldvolles Gesichtchen sich mit Purpur übergoß: "Das Ei istwarm!" Nun tippte auch der Königsknabe vorsichtig und leise an dasEi, um zu fühlen, ob die Schwester wahr gesprochen. Endlich legte auch dieMutter ihre zarte weiße Hand auf das köstliche Ei, und siehe, wasbegab sich da? Die Schaale fiel in zwei Hälften auseinander, und aus demEi kam ein Wesen hervor, wunderbar anzusehen. Es hatte Flügel, und warnicht Vogel, nicht Schmetterling, Biene nicht und nicht Libelle, und doch vonallen diesen Etwas, aber nicht zu beschreiben; mit einem Wort, es war dasbuntgeflügelte, farbenschillernde Kinderglück, selbst ein Kind,nämlich das des Wundervogels Phantasie, das Märchen. Und nun sah dieMutter ihre Kinder nicht mehr traurig, denn das Märchen blieb fortan immerbei den Kindern, und sie wurden seiner nicht müde, so lange sie Kinderblieben, und seit sie das Märchen hatten, wurden ihnen Garten und Blumen,Lauben und Grotten, Wälder und Haine erst recht lieb, denn dasMärchen belebte alles zur Lust der Kinder; das Märchen lieh selbstden Kindern seine Flügel, da flogen sie weit umher in derunermeßlichen Welt, und waren doch immer gleich wieder daheim, sobald sienur wollten. Jene Königskinder - das waren die Menschen in ihremJugendparadiese, und die Natur war ihre schöne mildfreundliche Mutter. Siewünschte den Wundervogel Phantasie vom Himmel nieder, der soprächtige Goldfedern und auch einige tiefdunkle hat, und er legte in ihrenSchoos das goldne Märchenei. Und wie die Kinder das Märchen innig lieb gewannen, das ihre Kindheittageverschönte, in tausenderlei Gestaltungen und Verwandlungen sieergötzte, und über alle Häuser und Hütten, über alleSchlösser und Paläste flog, so war des Märchens Art auch diese,daß es selbst den Erwachsenen gefiel und sie sich seiner freuten, wennsie nur etwas aus dem Garten der Kindheit mit herübergetragen in dasreifere Alter, nämlich die Kindlichkeit des Herzens. |